- Intraoperativ ist die unbedingt intakte Entfernung des Tumors zunächst das Ziel. Im Zweifelsfall ist einer Adnexentfernung – bei technischen Problemen auch mittels Laparotomie – im Hinblick auf eine eventuelle Tumortraumatisierung der Vorzug zu geben.
- Bei Malignität ist eine Staging-Operation anzuschließen:Diese beinhaltet folgende Operationsschritte: bilaterale Salpingo-Oophorektomie, Hysterektomie, infrakolische Omentektomie, systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie, Peritonealbiopsien (Blasenperitoneum, Beckenwand beidseits, Douglas’scher Raum, parakolische Gruben beidseitig, Diaphragmaperitoneum, evtl. Adhäsionen).
- Minimal invasive Chirurgie bei Frühstadien:Minimal invasive Techniken wie Laparoskopie und Roboter-assistierte Laparoskopie haben sich bei entsprechender Ausbildung des OP-Teams als onkologisch sicher und gleichwertig einer offenen Chirurgie erwiesen. Die Beachtung der onkologischen Vorgaben sind unbedingt einzuhalten (z. B. sorgfältige Exploration des Abdomens, Verwendung eines Endobags zur Tumorbergung). Es empfiehlt sich auch evtl. eine Schnitterweiterung zur Tumorbergung, da eine Tumorzerkleinerung im Endobag zu Schwierigkeiten bei der histopathologischen Diagnostik führen kann (z. B. Unterscheidung FIGO-Stadium Ia und Ic). Standardtechnik ist aber nach wie vor die mediane Laparotomie.
Cave: Eine iatrogene Tumortraumatisierung und/oder ein inkomplettes Staging verschlechtern die Prognose und können zur Notwendigkeit einer Nachoperation oder einer adjuvanten Chemotherapie führen.
6.1.2. Chirurgische Therapie von fortgeschrittenen Stadien
Allgemeine Vorbemerkungen:
- Die gesteigerte Radikalität des Primäreingriffs und die adjuvante Chemotherapie mit Platin und Taxan verbesserten in den letzten Jahren das progressionsfreie und das Gesamtüberleben von Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom.
- Die Bedeutung der primären chirurgischen Interventionist durch zahlreiche Studien belegt (Bristow et al., 2002; Scarabelli et al., 2000).
- Die makroskopische Tumorfreiheitist das Ziel der chirurgischen Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms. Um das primäre Ziel einer möglichst vollständigen Tumorentfernung bei akzeptabler perioperativer Morbidität und Mortalität erreichen zu können, fließen der Allgemeinzustand und das biologische Alter der Patientin in die Indikationsstellung ein.
- Ziel der Operation im Rahmen der Primärtherapieist ein optimales Tumordebulking, d. h. eine R0-Resektion bzw. kein makroskopischer Tumorrest (Griffiths et al., 2002). In gynäkoonkologischen Zentren können realistischerweise echte R0-Resektionsraten von bis zu 60–80 % erreicht werden.
- Patientinnen, die in einem Zentrum operiert werden,haben eine signifikant bessere Prognose (du Bois et al., 2006).
- Wird bei fehlender personeller, interdisziplinärer und apparativer Infrastruktur ein schwieriger Situs erst bei einer Explorativlaparotomie offensichtlich, sollte nach histologischer Diagnosesicherung der Eingriff beendet werden und die möglichst schnelle Verlegung der Patientin in ein gynäkoonkologisches Zentrum zur Komplettierung der primären Operation erfolgen.
Notabene: Nach den ESGO-Qualitätskriterien 2015 für die Behandlung von Ovarialkarzinomen sollten Zentren optimalerweise 100 Fälle pro Jahr behandeln, 50 Fälle werden als gut eingestuft und das absolute Minimum sind 20 Fälle pro Jahr (allerdings nur in Abteilungen mit Entwicklungspotenzial nach oben) (www.esgo.org).
Allgemeine Operationsvorbereitung bei fortgeschrittenen Stadien:
- Bei Verdacht auf FIGO-Stadium IVhistologische Sicherung anstreben – Biopsie von Metastasen, Pleura- oder Aszitespunktion.
- Entscheidungsfindung einzeitige vs. zweizeitige Operation:Bei Unklarheiten z. B. im Tumormarkerprofil und in der Tumorausbreitung kann zuerst durch eine diagnostische Laparoskopie, Aszitespunktion oder Biopsie einer Metastase zur histologischen bzw. zytologischen Diagnosesicherung erfolgen. Im Rahmen einer Laparoskopie erfolgt auch eine erste – allerdings meist nur bedingt aussagekräftige – Beurteilung der Operabilität. Hier sollte jedenfalls mittels eines Scoring-Systems die Operabilität dokumentiert werden (Fagotti et al., 2006).
- Planung der primären Operation (anzustreben):Interdisziplinäres OP-Team, Intensivbett, 4 Erythrozytenkonzentrate, Darmvorbereitung (Darmresektionsraten bis zu 70 %), evtl. Stomaausgänge markieren (Stomateam, Rate an Stomata bei der Primär-OP gering), Thromboseprophylaxe, Single-Shot-Antibiotikaprophylaxe präoperativ, keine weitere Antibiotikaprophylaxe auch bei Darmoperationen.
- Patientinnenaufklärung:Morbidität und Mortalität.
Primäre Operation bei fortgeschrittenen Stadien:
- Eröffnung der Abdominalhöhleimmer mittels medianer Laparotomie.
- Exploration des Situsim Hinblick auf Resektabilität. Strukturiertes Vorgehen: Evaluierung des Beckens (praktisch immer resektabel), parakolische Gruben, Radix mesenterii, Darm- und Mesenterialperitoneum, Netz inkl. Lig. gastrocolicum, Bursa omentalis, Omentum minus, Lig. hepatoduodenale, Foramen Winslowi, Lig. falciforme und teres hepatis, rechte und linke Zwerchfellkuppel, Lobus caudatus, Gallenblase, Milz, pelvine und paraaortale Lymphknotenregionen.
- Wenn optimale Zytoreduktion (R0) oder Tumorrest < 1 cm erreichbar:
–Resektion des Lig. falciforme und teres hepatis, Mobilisation der Leber, Peritonealstripping, re. Zwerchfell, evtl. „Full-thickness“-Resektion Zwerchfell, evtl. auch Peritoneumektomie, linkes Zwerchfell, Mobilisierung beider Kolonflexuren, Peritoneumektomie Morison-Pouch, parakolische Gruben beidseits, Resektion des Omentum majus + Lig. gastrocolicum (wenn möglich, Erhalt der gastroepiploischen Gefäße) + falls nötig Splenektomie en bloc, Omentum minus, retroperitoneale En-bloc-Resektion von Beckenperitoneum, Uterus und Adnexen, bei Befall des Rektums inkl. Sigma Rektumresektion (Häufigkeit ca. 60 %). Eröffnung des Peritoneums entlang der Radix mesenterii, Exploration der paraaortalen und pelvinen Lymphknoten und Resektion von suspekten/vergrößerten Lymphknoten, Appendektomie
–wenn R0-Resektion möglich, zusätzlich Mehrfachdarmresektion, Pankreasschwanzresektion, Resektion extraabdomineller Tumoren (präkordiale Lymphknoten, evtl. Pleura, evtl. mediastinale Lymphknoten), wenn erforderlich – vorher Patientenbeurteilung (guter AZ, biologisches Alter ≤ 75 Jahre)
- Wenn Zytoreduktion von ≤ 1 cm nicht erreichbar(z. B. diffuse Karzinose vor allem am Darm, nicht resezierbare parenchymatöse Metastasen, AZ und/oder Alter erlauben keine Radikaloperation):
–Entscheidung immer durch interdisziplinäres Team
–Tumorreduktion zur Vermeidung von tumorbedingten Sekundärkomplikationen (Resektion von großen Ovarialtumoren, Netzplatte, Behebung von Darmstenosen)
–Operation und Belastung auf das Nötigste minimieren
–genaue Dokumentation der Tumorverteilung und limitierenden Tumorlokalisation(en) für allfällige Intervalloperation
–Intervalloperation nur bei gutem Ansprechen auf Chemotherapie sinnvoll
6.1.3. Chirurgische Folgeeingriffe
- Unmittelbare Komplettierungsoperation (anstreben)nach inkomplettem erstem Eingriff (Laparoskopie, Laparotomie) mit dem Ziel der optimalen Zytoreduktion.
- Intervall- oder Interventionsdebulking(IDS, Interventionslaparotomie nach neoadjuvanter Chemotherapie und Ansprechen des initial verbliebenen Resttumors oder bei primärer Inoperabilität):
–operative Vorbereitung und operatives Vorgehen wie bei primärer Operation, Ziel ist eine optimale (R0) Tumorreduktion; strukturierte und genaue Exploration wichtig, da vitaler Tumorbefall durch Chemotherapie verschleiert werden kann, bei Unklarheit Biopsie und Gefrierschnitt mit der Frage nach vitalem Tumorgewebe, im Zweifelsfall Resektion der betroffenen Areale
–bei Inoperabilität in einem gynäkoonkologischen Zentrum (interdisziplinäre Entschei- dungsfindung) ist es fraglich, ob solche Patientinnen von einer Interventionschirurgie profitieren
–keine Second-Look-Operationen zur Dokumentation eines Tumoransprechens
6.1.4. Chirurgische Sonderfälle
- Seröser Borderline-Tumor (BOT)mit invasiven Implants (heute als „low-grade“ seröses Adenokarzinom klassifiziert): Operation wie beim serösen BOT (siehe dort)mit Exploration der pelvinen und paraaortalen Lymphknoten, Eröffnung des Retroperitonealraums, Entfernung von suspekten Lymphknoten, keine systematische Lymphadenektomie.
- Prophylaktische Operation (z. B. bei BRCA-Mutation):
–nach abgeschlossener Familienplanung
–Laparoskopie, Peritonealzytologie, Exploration des gesamten Abdomens, bei peritonealen Auffälligkeiten Biopsie, bilaterale Salpingo-Oophorektomie, Hysterektomie nicht routinemäßig, sondern nur bei Zusatzindikation (relative Indikation bei BRCA1-Mutation) oder Patientinnenwunsch
–essenziell ist eine vollständige histopathologische Aufarbeitung nach dem SEE-FIM- Protokoll (Crum et al., 2010)
–bei Befund eines STIC (Serous Tubal Intraepithelial Carcinoma)/STIL (Serous Tubal Intraepithelial Lesion) in Kombination mit einer Keimbahn-BRCA-Mutation besteht ein hohes Risiko für die Entstehung einer Peritonealkarzinose (kumulatives Risiko nach 5 Jahren 10,5 % und nach 10 Jahren 27,5 % versus 0,3 % und 0,9 % ohne STIC). Bislang gibt es für diesen Fall keine klaren Empfehlungen zu einer weiterführenden operativen oder systemischen Therapie, die dieses Risiko nachweislich reduzieren könnten (Steenbeek et al., 2022, Ovarian Consensus Conference Valencia 2022, ESGO Annual Meeting 2022)
–bei mikroskopischem HGSOC Vorgehen wie bei HGSOC (Ovarian Consensus Conference Valencia 2022, ESGO Annual Meeting 2022)
6.2. Adjuvante/primäre systemische Therapie
6.2.1. Allgemeine Aspekte
- Allgemeine Indikationen:Infolge der mathematisch exponentiell zunehmenden Effektivität postoperativer Chemotherapie bei linear abnehmendem Tumorrest bildet die größtmögliche Tumorreduktion der operativen Primärtherapie die optimale Grundlage für die systemische Primärtherapie.
- Voraussetzungen für die Durchführung einer Chemotherapie:
–Patientinnenaufklärung (Ablauf, Nebenwirkungen, Verhalten, Kontrollen etc.)
–adäquater Performancestatus, Knochenmarkfunktion und Laborparameter, keine Infektion oder größere Wundheilungsstörungen, keine anderen Kontraindikationen
- Eine vollständige Beratung zur systemischen Therapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom kann nur erfolgen, wenn folgende Befunde des Tumorgewebes vorliegen:
–exakter histologischer Befund
–BRCA-Mutationsstatus: bei BRCA-Mutation im Tumorgewebe Überweisung der Patientin zur genetischen Beratung und Keimbahntestung
–HRD-Test (Homologe-Rekombinations-Defizienz): aus dem Tumorgewebe
- Aktuelle Standard-Chemotherapie: Die höchste Rate klinischer Vollremissionen in klinischen Studien wurde durch eine platin- und taxanhaltige Kombinationschemotherapie erzielt.
–Dosierung und Therapiedauer: 6 Zyklen Paclitaxel 175 mg/m2 über 3 h und Carboplatin AUC 5 im Abstand von 3 Wochen
–bei Paclitaxel-Unverträglichkeit (Hypersensitivität, Anaphylaxie, höhergradige periphere Polyneuropathie) kann auf Docetaxel 75 mg/m2 bzw. bei Carboplatin-Unverträglichkeit auf Cisplatin (50 mg/m2) bzw. Oxaliplatin (130 mg/m2) ausgewichen werden
–Patientinnen mit reduziertem AZ, hohem biologischen Alter, Ko-Morbiditäten können alternativ mit einer dosisreduzierten Kombinationschemotherapie oder einer Carboplatin-Monotherapie AUC 5 behandelt werden
6.2.2. Systemische Therapie
- Adjuvante Chemotherapie im Stadium FIGO I–II:
–3–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 (bei serösen „high-grade“ Karzinomen, FIGO-Stadium II, Tumorrest 6 Zyklen PC)
–alternativ 6 Zyklen Carboplatin mono AUC 5 q21 je nach Risikoeinschätzung und Patientinnenwunsch (FIGO-Stadium I, Komplettresektion)
- Adjuvante Chemotherapie im Stadium FIGO III–IVB, „high-grade“ EOC, BRCA-Mutation:
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + Bevacizumab 15 mg/kg Körpergewicht ab dem 2. Chemotherapiezyklus für insgesamt 15 Monate, bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Olaparib (2 x 300 mg/d) für 24 Monate (Ray-Coquard et al., 2019)
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Niraparib (1 x 300 mg/d) für 36 Monate (Gonzalez-Martin et al., 2019). Bei Patientinnen mit einem Körpergewicht von < 77 kg und/oder Thrombozyten unter 150.000/µl beträgt die Anfangsdosis 1 x 200 mg/d.
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Olaparib (2 x 300 mg/d) für 24 Monate (Moore et al., 2018)
–Notabene: Patientinnen mit einer BRCA-Mutation sollten auf jeden Fall im Rahmen der Erstlinientherapie einen PARP-Inhibitor erhalten. Eine Kombination mit Bevacizumab scheint einen additiven Effekt zu haben.
- Adjuvante Chemotherapie im Stadium FIGO III–IVB, „high-grade“ EOC, keine BRCA-Mutation, HRD-Test positiv:
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + Bevacizumab 15 mg/kg Körpergewicht ab dem 2. Chemotherapiezyklus für insgesamt 15 Monate + bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Olaparib (2 x 300 mg/d) für 24 Monate (Ray-Coquard et al., 2019)
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Niraparib (1 x 300 mg/d) für 36 Monate (Gonzalez-Martin et al., 2019). Bei Patientinnen mit einem Körpergewicht von < 77 kg und/oder Thrombozyten unter 150.000/µl beträgt die Anfangsdosis Niraparib 1 x 200 mg/d.
–Notabene: Patientinnen mit einem positiven HRD-Test sollten im Rahmen der Erstlinientherapie einen PARP-Inhibitor in Kombination mit Bevacizumab erhalten.
- Adjuvante Chemotherapie im Stadium FIGO III–IVB, „high-grade“ EOC, keine BRCA-Mutation, HRD-Test negativ:
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + Bevacizumab 15 mg/kg Körpergewicht ab dem 2. Chemotherapiezyklus für insgesamt 15 Monate (Burger et al., 2011)
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + bei Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Niraparib (1 x 300 mg/d) für 36 Monate (Gonzalez-Martin et al., 2019). Bei Patientinnen mit einem Körpergewicht von < 77 kg und/oder Thrombozyten unter 150.000/µl beträgt die Anfangsdosis Niraparib 1 x 200 mg/d.
–Notabene: Bei Patientinnen mit einem negativen HRD-Test und ohne BRCA-Mutation muss auf individueller Basis entschieden werden, ob eine Erhaltungstherapie mit Bevacizumab oder Niraparib durchgeführt wird (Ansprechen auf platinhaltige Chemotherapie, Aszites/Pleuraerguss, Kontraindikationen, KELIM-Score etc.).
- Adjuvante Chemotherapie im Stadium FIGO III–IVB, „high-grade“ EOC, keine Information zu BRCA-Mutation und HRD-Test:
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + Bevacizumab 15 mg/kg Körpergewicht ab dem 2. Chemotherapiezyklus für insgesamt 15 Monate (Burger et al., 2011)
–6 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21 + bei gutem Ansprechen auf die Chemotherapie (partiell oder komplett) Niraparib (1 x 300 mg/d) für 36 Monate (Gonzalez-Martin et al., 2019). Bei Patientinnen mit einem Körpergewicht von < 77 kg und/oder Thrombozyten unter 150.000/µl beträgt die Anfangsdosis Niraparib 1 x 200 mg/d.
–Notabene: Bei Patientinnen ohne Information zu HRD-Test und BRCA-Mutation sollte versucht werden, eine nachträgliche BRCA- und HRD-Testung aus Tumorgewebe zu erhalten. Wenn nicht möglich, wäre auch eine beschleunigte BRCA-Keimbahntestung sinnvoll.
6.2.3. Situationsangepasste systemische Therapie
- Bei Low-Grade-Histologie (LGSOC)hat eine Chemotherapie eine fragliche Nutzen-Risiko-Konstellation und die Durchführung einer adjuvanten Chemotherapie kann insbesondere bei Patientinnen mit makroskopischer Komplettresektion vor allem in frühen Stadien (Stadien I und II) diskutiert werden (Ansprechrate auf platinhaltige Kombinationschemotherapie im Rahmen der Primärtherapie ca. 5 %). In fortgeschrittenen Stadien wird in der Regel eine Chemotherapie wie bei HGSOC empfohlen. Auch der Einsatz von Bevacizumab, bei allerdings eingeschränkter Datenlage, kann diskutiert werden (Dalton et al., 2017).Eine endokrine Therapie mit Aromatasehemmern insbesondere bei fortgeschrittenen Fällen, bei Tumorrest und im Rezidivfall erscheint sinnvoll (Gershenson et al., 2017; Slomovitz et al., 2020). Zusätzlich sollte großzügig eine erweiterte molekularpathologische Abklärung erfolgen (KRAS-Mutation, MAP-Kinase-Pathway). Im Rezidivfall ist bei Progression nach Chemotherapie und endokriner Therapie die Gabe eines MEK-Inhibitors zu erwägen. Diese Therapie (Trametinib [Mekinist®] 2 mg p. o. tgl.) ist dzt. noch nicht zugelassen (Gershenson et al., 2022).
- Palliative Chemotherapie:Insbesondere, wenn eine Inoperabilität nach entsprechender interdisziplinärer Evaluation in einem gynäkoonkologischem Zentrum festgestellt wurde, ist die Gabe einer palliativen Chemotherapie zur Symptomverbesserung und damit Steigerung der Lebensqualität sinnvoll.
–mögliche Chemotherapieschemata: Carboplatin/Paclitaxel (PC) q21, Carboplatin-Monotherapie AUC 5, Carboplatin AUC 5/pegyliertes liposomales Doxorubicin 30 mg/m2 q28 (kein Haarverlust, kaum periphere Neuropathie), Carboplatin AUC 5/Gemcitabin 1.000 mg/m2 Tag 1 und Gemcitabin 1.000 mg/m2 Tag 8
–zusätzlich Bevacizumab, insbesondere bei Aszites eine Option
- Intraperitoneale Chemotherapie:Drei prospektive, randomisierte klinische Studien (Armstrong et al., 2006; Alberts et al., 1996; Markman et al., 2001)und eine Metaanalyse (Jaaback et al., 2016) zeigten Vorteile einer intraperitonealen gegenüber einer intravenösen Chemotherapie. Das National Cancer Institute (NCI) veröffentlichte eine entsprechende Therapieempfehlung (www.cancer.gov/news-events/cancer-currents-blog/2015/IP-Chemo). Die rezenteste randomisiert-kontrollierte Studie (GOG-252) verglich Carboplatin/Paclitaxel i. v. „dose dense“, Carboplatin i. p./Paclitaxel i. v. „dose dense“ und einen Arm mit Cisplatin i. p./Paclitaxel i. v. und i. p., wobei in allen Armen Bevacizumab in der Standarddosierung verwendet wurde. Bzgl. PFS fand sich zwischen den 3 Armen kein signifikanter Unterschied (Walker et al., 2016). Demnach ist die i. p. Chemotherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom insbesondere in Verbindung mit Bevacizumab dzt. keine Standardtherapie.
- Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC): Eine randomisierte kontrollierte Phase-III-Studie zeigte nach neoadjuvanter Chemotherapie und HIPEC eine Verbesserung des PFS um 3,5 Monate (10,7 vs. 14,2) und des Gesamtüberlebens um 11,8 Monate (33,9 vs. 45,7). Lt. Autor:innen fand sich kein signifikanter Unterschied im Hinblick auf postoperative Komplikationen. Allerdings war die Rate an protektiven Stomaanlagen extrem hoch (45 % in der Kontroll-, 73 % in der HIPEC-Gruppe). Zusätzlich ist anzumerken, dass es sich bei den eingeschlossenen Patientinnen um ein sehr stark selektioniertes Kollektiv handelte, die Studie eine sehr lange Rekrutierungsdauer und substanzielle methodische Unsicherheiten aufweist (van Driel et al., 2018). Eine koreanische randomisierte Phase-III-Studie zeigte in der Gesamtpopulation keinen PFS- und OS-Vorteil für die HIPEC. In der Subgruppenanalyse fand sich ein signifikanter PFS- und OS-Vorteil für die HIPEC (Lim et al., JAMA Surgery 2022).Nach wie vor ist die Primäroperation mit optimaler Zytoreduktion (R0) jene operative Therapie, die mit Abstand die besten Ergebnisse bringt. In dieser Situation hat die HIPEC dzt. keinen Stellenwert. Eine routinemäßige Anwendung der HIPEC außerhalb klinischer Studien ist derzeit auch in der neoadjuvanten Situation nicht empfohlen.
6.2.4 Keine systemische Therapie, aber Nachsorge
- Borderline-Tumoren
- STIC/STIL bei Patientinnen mit BRCA-Mutation in der Keimbahn
6.2.5 Radiotherapie
- Ohne Stellenwert in der adjuvanten oder primären Standardtherapie, in seltenen Fällen in der Rezidivtherapie.
6.3. Rezidivtherapie
6.3.1. Definition der Platinsensitivität
Mehrere Faktoren sollten für die Beurteilung einer Platinsensitivität herangezogen werden. Das platinfreie Intervall allein sollte nicht mehr Grundlage für die Feststellung einer Platinsensitivität sein. Folgende Faktoren sollten in die Entscheidungsfindung Eingang finden:
- Dauer des platinfreien Intervalls
- Dauer des nicht-platinfreien Intervalls
- Dauer des therapiefreien Intervalls von zielgerichteten Therapien
- Operative Vortherapie(n):Art, Ausmaß, postoperativer Tumorrest.
- Medikamentöse Vortherapie(n):Art, Anzahl, Dauer und Abstand zwischen den bisherigen medikamentösen Therapien.
6.3.2. Informationen für die Therapieentscheidung
- Operative Vortherapie(n):Art, Ausmaß, postoperativer Tumorrest.
- Medikamentöse Vortherapie(n):Art, Anzahl, Dauer und Abstand zwischen den bisherigen medikamentösen Therapien.
- Dauer des therapiefreien Intervalls
- Symptomatik:Nausea, Emesis, Obstipation, Diarrhö, Pleuraerguss, Aszites, Dyspnoe, Thrombose etc.
- Nebenwirkungen (während der bisherigen Therapien, derzeit bestehende Nebenwirkungen).
- Ziel der Therapie:Lebensverlängerung, Verlängerung des rezidivfreien Intervalls, Lebensqualität, palliative Situation, Symptomkontrolle.
- Histologischer Typ
- BRCA-Mutationsstatus (sowohl in der Keimbahn als auch im Tumorgewebe).
- Komorbiditäten/Allergien
- Allgemeinzustand der Patientin (ECOG-Performance-Status oder Karnofsky-Index).
- Möglichkeiten zur Teilnahme an klinischer Studie
6.3.3. Chirurgische Rezidivtherapie
Prospektiv validierter prädiktiver Score der AGO Deutschland zur Identifikation von Patientinnen, die sehr wahrscheinlich erfolgreich komplett tumorfrei operiert werden können (Harter et al., 2011 – DESKTOP-II-Studie). Validierungsstudien zeigten, dass dieser Score zwar sehr präzise Patientinnen identifizieren dürfte, die erfolgreich komplett tumorfrei operiert werden können (hoher positiver Vorhersagewert: > 80 %), jedoch eine beträchtliche Falsch-negativ-Rate aufweist (d. h. Patientinnen von einer Rezidivoperation ausschließt, obwohl diese eventuell doch komplett tumorfrei operiert werden könnten; in Validierungsstudien bis zu 70 %) (van de Laar et al., 2015). Eine prospektiv randomisiert-kontrollierte Studie zur operativen Rezidivtherapie (DESKTOP-III-Studie) zeigte eine signifikante Verbesserung des PFS und des Gesamtüberlebens (OS) nach erfolgreicher (R0-Resektion) sekundärer Zytoreduktion (du Bois et al., 2017 und 2020; Harter et al., 2021).
Eine weitere prospektive randomisiert-kontrollierte Studie zur operativen Rezidivtherapie (GOG 213) zeigte keinen Vorteil nach erfolgreicher sekundärer Zytoreduktion im Hinblick auf das OS (Coleman et al., 2019).
Eine dritte randomisiert-kontrollierte Studie zur operativen Rezidivtherapie (SOC-1) zeigte einen Vorteil im PFS und einen Trend, jedoch keinen statistisch verifizierten Vorteil im OS nach erfolgreicher sekundärer Zytoreduktion (Zang et al., 2020; Zang, ASCO 2024).
- Bedingungen für eine Rezidiv-OP:
–guter AZ (ECOG 0–1)
–makroskopische Komplettresektion bei der Primär-OP
–kein Hinweis auf Peritonealkarzinose (z. B. Aszites < 500 ml!)
–komplette Tumorresektion erscheint möglich
–platinsensibles Rezidiv
–Wunsch der Patientin (nach Aufklärung über Therapieoptionen sowie die divergente Datenlage, Risiko eines OP-Abbruchs, wenn eine Komplettresektion unmöglich ist, Komplikationsrisiken)
- Ausnahmen:Palliativoperation bei Ileus o. a. Symptomen nach Versagen der medikamentösen Therapieoptionen.
- Insgesamt ist die sekundäre Zytoreduktion (R0-Resektion)beim platinsensitiven Rezidiv bei entsprechender Patientinnenselektion sinnvoll, wobei nur R0-resezierte Patientinnen von einer solchen OP profitieren (lt. DESKTOP-III-Studie: PFS- und OS-Vorteil; lt. SOC-1-Studie: PFS-Vorteil, OS-Vorteil-Trend, jedoch nicht statistisch signifikant; lt. GOG-0213: kein PFS- und OS-Vorteil ohne definierte Patientinnenselektion).
6.3.4. Medikamentöse Rezidivtherapie
6.3.4.1. Platin-Reinduktion möglich:
Überprüfung der „Informationen für Therapieentscheidung“. Insbesondere Überprüfung:
–1. ob BRCA-Mutationsstatus und HRD-Status bekannt (wenn nicht, Aufklärung über Möglichkeit der genetischen Beratung und beschleunigte Keimbahntestung, Tumortestung aus archiviertem Material oder Rezidivbiopsie)
–2. welche Erhaltungstherapien bei der Patientin bereits durchgeführt wurden (Bevacizumab [BEV] und/oder PARP-Inhibitor [PARPi])
–3. ob bei der Patientin das Rezidiv nach oder unter einer Erhaltungstherapie und wenn ja unter welcher Erhaltungstherapie auftritt
- Bei bestehender BRCA-Mutation (somatisch und/oder Keimbahn):
–bei bereits erfolgter BEV- und PARPi-Therapie in der Erstlinie: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen und wenn PARPi in der Erhaltungstherapie zumindest 18 Monate ohne Progress verabreicht wurde, Re-Induktion mit PARPi (Olaparib) bis zur Tumorprogression möglich (Pujade-Lauraine et al., 2021)
–bei bereits erfolgter BEV-Therapie in der Erstlinie ohne PARPi-Therapie: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen Erhaltungstherapie mit PARPi bis zur Tumorprogression (Ledermann et al., 2015; Oza et al., 2015; Mirza et al., 2016; Pujade-Lauraine et al., 2017)
–bei bereits erfolgter PARPi-Therapie in der Erstlinie ohne BEV: platinhaltige Chemotherapie mit BEV und BEV-Erhaltungstherapie bis Tumorprogression (Coleman et al., 2017). Alternativ: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen, wenn PARPi in der Erstlinie zumindest 18 Monate ohne Progress verabreicht wurde, Re-Induktion mit PARPi (Olaparib) möglich (Pujade-Lauraine et al., 2021). Wichtig: Dadurch geht die Möglichkeit zur zulassungskonformen BEV-Therapie bei platinsensitivem Rezidiv verloren; bei Platinresistenz Monochemotherapie + BEV (zulassungskonform).
–keine Erhaltungstherapie in der Erstlinie: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen Erhaltungstherapie mit PARPi (Olaparib, Niraparib) bis zur Tumorprogression. Bei BRCAmut-Patientinnen ist der größte Benefit in dieser Situation von einem PARPi zu erwarten. Wichtig: Dadurch geht die Möglichkeit zur zulassungskonformen BEV-Therapie bei platinsensitivem Rezidiv verloren; bei Platinresistenz Monochemotherapie + BEV (zulassungs- konform).
- Bei fehlender BRCA-Mutation:
–bei bereits erfolgter BEV- und PARPi-Therapie in der Erstlinie (HRD-positive Patientinnen): platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen und wenn PARPi in der Erhaltungstherapie zumindest 12 Monate ohne Progress verabreicht wurde, Re-Induktion mit PARPi (Olaparib) bis zur Tumorprogression möglich (Pujade-Lauraine et al., 2021)
–bei bereits erfolgter BEV-Therapie in der Erstlinie ohne PARPi-Therapie: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen Erhaltungstherapie mit PARPi bis zur Tumorprogression (Ledermann et al., 2015; Oza et al., 2015; Mirza et al., 2016; Pujade-Lauraine et al., 2017).
–bei bereits erfolgter PARPi-Therapie in der Erstlinie ohne BEV: platinhaltige Chemotherapie mit BEV und BEV-Erhaltungstherapie bis Tumorprogression (Pujade-Lauraine et al., 2021). Alternativ: platinhaltige Chemotherapie; bei zumindest partiellem Ansprechen, wenn PARPi in der Erstlinie zumindest 12 Monate ohne Progress verabreicht wurde, Re-Induktion mit PARPi (Olaparib) möglich (Pujade-Lauraine et al., 2021). Wichtig: Dadurch geht die Möglichkeit zur zulassungskonformen BEV-Therapie bei platinsensitivem Rezidiv verloren. Bei Platinresistenz Monochemotherapie + BEV (zulassungskonform).
Mögliche Chemotherapieschemata bei platinsensitivem Rezidiv sind: Carboplatin/pegyliertes liposomales Doxorubicin (PLD) [1. Wahl], Carboplatin/Gemcitabin und Carboplatin/Paclitaxel (Aghajanian et al., 2012; Pfisterer et al., 2018).
Eine Re-Induktion mit Bevacizumab beim platinsensitiven Rezidiv nach vorangegangenem Bevacizumab in der Erstlinie hat zu einer signifikanten Verlängerung des PFS, nicht aber des OS geführt (Pignata et al., 2018).
PARPi bei „high grade“ seröser und „high grade“ endometrioider Histologie: zur Verfügung stehende PARP-Inhibitoren: Olaparib (Lynparza®) 2 x 300 mg Tbl. tgl.; Niraparib (Zejula®) 1 x 300 mg Tbl. tgl., bei Patientinnen mit einem Körpergewicht von < 77 kg und/oder Thrombozyten unter 150.000/µl beträgt die Anfangsdosis 1 x 200 mg/d.
Bei Kontraindikation gegen Platin (z. B. Allergie): Trabectedin/PLD.
6.3.4.2. Platin-Reinduktion nicht möglich:
- Überprüfung der „Informationen für Therapieentscheidung“ und Tumortestung auf Folatrezeptor-alpha (FRa) bei high-grade serösem Ovarialkarzinom (HGSOC). FRa-Expression findet sich in etwa 30 % der HGSOC in diesem Setting. Essenziell ist die Verwendung des CE-zertifizierten zugelassenen Testsystems für diese immunhistochemische Färbung und die entsprechende korrekte Beurteilung mittels PS2+-Score (> 75 %) durch die Pathologie (Moore et al., 2023).
- Kombinationstherapie ohne Vorteil gegenüber Monotherapie
- Bei FRapositiv und HGSOC: Monotherapie mit Mirvetuximab-Soravtansin 6 mg/kg KG (cave:Berechnung mit „adjusted ideal body weight“ [AIBW]) alle 3 Wochen bis zum Progress bzw. Auftreten limitierender Toxizität (Moore et al., 2023). Im Rahmen der MIRASOL-Studie zeigte sich ein PFS- und OS-Benefit im Vergleich zu einer Monochemotherapie nach Wahl des behandelnden onkologischen Teams.
- Bei FRanegativ und HGSOC bzw. allen anderen histologischen Subtypen:
–Monotherapie mit z. B. Paclitaxel wöchentlich (bevorzugt), pegyliertem liposomalen Doxorubicin bzw. Topotecan wöchentlich kombiniert mit BEV (Pujade-Lauraine et al., 2014)
–oder Monotherapie mit z. B. pegyliertem liposomalen Doxorubicin bzw. Topotecan bzw. Paclitaxel wöchentlich bzw. Gemcitabin (bei Kontraindikation gegen oder bereits durchgeführter Vortherapie mit Bevacizumab)
–BEV-Reinduktion z. B. bei Aszites erwägen (außerhalb der Zulassung)
–endokrine Therapien bei HR-positivem Tumor (z. B. Aromatasehemmer)
–Einbringen der Patientin in ein „Precision Medicine Tumorboard“ inklusive erweiterter molekularpathologischer Analyse, ggf. dadurch Identifikation einer alternativen zielgerichteten Therapie, z. B. bei Vorliegen einer HER2-, Östrogenrezeptor-Expression
–oder „best supportive care“ (bei signifikanten Komorbiditäten oder reduziertem AZ, die eine Chemotherapie nicht zulassen, bzw. auf Wunsch der Patientin)